Folgen von Kieferfrakturen
Verletzungen des Unterkiefers zählen zu den häufigsten knöchernen Verletzungen des Gesichtsschädels. Vor allen Dingen hervorgerufen durch Stürze auf das Kinn, kann es hierbei zu Frakturen im Bereich des Gelenkhalses, des sog. Collums, kommen. Das Collum ist der höchste Anteil des Unterkiefers, der in der Gelenkpfanne sitzt und mit der Gelenkpfanne zusammen das Kiefergelenk bildet. Diese Collumfrakturen lassen sich nun unterscheiden in hohe, mittelhohe und tiefe Frakturen.
Die mittelhohen und hohen Frakturen werden oftmals im Rahmen von Erstuntersuchungen in nicht auf kiefer-/ gesichtschirurgische Verletzungen ausgerichteten Krankenhäusern übersehen. Die Zeichen der Collumfraktur, nämlich eine eingeschränkte Mundöffnung, eine Schwellung vor dem Ohr, starke Schmerzen im Bereich des Gehörganges und möglicherweise Blutaustritt aus dem verletzten Gehörgang sowie eine Veränderung der Zahnpassung, werden leider oft übersehen. Diese Frakturen heilen dann in einer Fehlposition ab, oder es kann auch zu einer Nekrose (ein durch eine Minderdurchblutung und damit durch eine Minderernährung verursachten Zerfall) des Gelenkkopfes kommen. Anfänglich wird dieses oft durch den Patienten selber nicht bemerkt, die Beweglichkeit des Unterkiefers ist uneingeschränkt.
Erst nach einigen Monaten kommen dann Beschwerden im Bereich des Gelenkes auf. Diese sind Ausdruck einer beginnenden Arthrose, d. h. einer knöchernen Verwachsung zwischen Gelenkpfanne und den verbleibenden Anteilen des Gelenkhalses. In diesem Moment sucht der Patient dann meist erst seinen Zahnarzt auf. Dieser sollte immer eine Überweisung an einen Facharzt für Kiefer- und Gesichtschirurgie durchführen und nicht zuerst Therapieversuche mit Aufbissschienen und anderen Hilfsapparaturen unternehmen.
In Abhängigkeit von dem klinischen Bild muss dann eine Entscheidung erfolgen, ob eine funktionelle Nachbehandlung erfolgen kann, oder aber eine Kiefergelenksrekonstruktion notwendig wird. Die Rekonstruktion, die Sie auf den o. g. Bildern erkennen können, bedeutet, dass das Collum wieder aufgebaut wird. Dieses erfolgt in aller Regel mit einem Transplantat von der Rippe. Der Facharzt für Kiefer- und Gesichtschirurgie entnimmt ein Stück Rippe im Rahmen eines Eingriffes in Intubationsnarkose und schafft sich dann über einen Schnitt vor dem äußeren Gehörgang Zugang zur Gelenkskapsel. Die Gelenkskapsel wird eröffnet, die freien Gelenkkörper entfernt und ggf. nekrotischer Knochen abgetragen. Dann kann die Rippe nach entsprechender Vorbereitung in den Defekt eingepasst und mit einer Mikroosteosyntheseplatte mit dem verbleibenden Unterkiefer verbunden werden. Der Defekt wird dann schichtweise verschlossen. In aller Regel wird man dann für einen Zeitraum von zwei bis drei Wochen eine intermaxilläre Fixation, d.h. eine Ruhigstellung der Kiefer mittels Gummizügen und Drähten, durchführen. Danach beginnt man dann mit einer frühen funktionellen Behandlung, die das Ziel hat, Verwachsungen im Bereich des Gelenks zu vermeiden. Versuche mit künstlichen Gelenken leiden vor allen Dingen unter dem Risiko eines Durchtritts des Titans durch die Gelenkpfanne in die untere Schädelbasis.
Zusammenfassend lässt sich also sagen, dass man nach einem Sturz auf den Kiefer immer einen Facharzt für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie aufsuchen sollte, damit eine frühzeitige korrekte Diagnose erfolgen kann.