Vom Wirkstoff zum Arzneimittel
GUT DING WILL WEILE HABEN
Vom Wirkstoff zum Arzneimittel
Zehn Jahre und mehr kann die Entwicklung eines neuen Medikaments dauern. Moderne Arzneimittel sind Hightech - Produkte, die vor ihrer Zulassung auf "Herz und Nieren" geprüft werden müssen. Der Patient erwartet, dass die bunten Pillen nicht nur "wirken" (und auch das muss erst einmal zweifelsfrei bewiesen werden!), sondern zudem verträglich sind.
Beim "Werdegang eines neuen Präparats sind zwar eine Reihe von Sicherheitschecks eingebaut. Doch können auch sie nicht verhindern, dass manche Nebenwirkungen einer Substanz erst nach ihrer Zulassung bekannt werden. Die Experten, wie etwa der Sachverständigenrat zur Konzentrierten Aktion im Gesundheitswesen, halten die bisherigen Kriterien für die Zulassung und für die Erstattungsfähigkeit neuer Medikamente für nicht ausreichend. Denn eine qualitätsorientierte Arzneimittelversorgung setzt auch gesicherte Erkenntnisse über Wirkung und Verträglichkeit einer neuen Substanz auf der Grundlage von Langzeitstudien voraus; daran jedoch mangelt es im Zuge der behördlichen Zulassung in aller Regel. Daher gibt es unter anderem den Vorschlag, neuen Präparaten eine Zulassung zunächst nur vorübergehend bzw. befristet zu erteilen. Außerdem melden Pharmahersteller vielfach "neue" Arzneistoffe zur Zulassung an, bei denen es sich gar nicht um echte Neuerungen handelt: So waren im Jahr 2000 von insgesamt 31 neu zugelassenen Arzneistoffen nach Erkenntnissen des Sachverständigenrats lediglich 13 tatsächliche Wirkstoffinnovationen. Eine systematische Kosten- Nutzen- Analyse als zusätzliche Hürde im Zulassungsverfahren für neue Medikamente wird daher dringend empfohlen.
Forschung mit hohem Aufwand
In der Regel werden Millionenbeträge für die Entwicklung eines neuen Arzneimittels aufgebracht. Zunächst wird in die Synthese neuer Substanzen investiert, wobei die Wirkstofffindung der Suche nach der Stecknadel im Heuhaufen ähnelt. Fast vorbei sind die Zeiten als potente Arzneimittel aus Pflanzenextrakten gewonnen wurden; heute stammen die meisten Arzneimittel aus der Retorte. In einem breiten Testprogramm (Screening) werden ungezielt synthesierte Substanzen auf ihre biologische und pharmakologische Wirkung geprüft. An einem Tag "schafft" ein automatisierter Screening - Roboter ca. 100000 Stoffe. Reagiert eine dieser Modellsubstanzen mit einer ausgewählten biologischen Zielstruktur, zeigt der Computer den "Treffer" an. Nun ist es die Aufgabe des Pharmakologen, die Wirkungen der viel versprechenden "Leitsubstanz" im Experiment zu suchen und zu charakterisieren. Die meisten Stoffe scheide schon bei diesen ersten Tests aus. Nur eine von etwa 10000 Leitstrukturen taugt als potentielles Medikament und wird zum Patent angemeldet. Danach muss der "Rohstoff" auf erwünschte und unerwünschte Wirkungen geprüft werden - erst an Mikroorganismen und Zellkulturen, später dann an Versuchstieren und zuletzt am Menschen. Bei den toxikologischen Prüfungen muss geklärt werden, ob eine neue Substanz auch schädliche Wirkungen erzeugen könnte - und zwar bevor sie am Menschen getestet wird.
Von Wirkung und Verträglichkeit
Bevor ein Arzneimittel an Menschen ausprobiert wird, muss eine unabhängige Ethik- Kommission zustimmen. Das deutsche Arzneimittelgesetz erlaubt dies nur, wenn die Risiken, die damit verbunden sind, gemessen an der voraussichtlichen Bedeutung des Arzneimittels für die Heilkunde ärztlich vertretbar sind. Nur dann kann die sogenannte klinische Prüfung beginnen, aufgeteilt in verschieden Phasen: Für die ersten Tests werden gesunde Menschen ausgewählt, die sich freiwillig, meist gegen Entgelt, für pharmakologische Untersuchungen zur Verfügung stellen. Zu den kniffligsten Aufgaben der Wissenschaftler gehört es, während dieser Phase die therapeutische Dosis am Menschen abzuschätzen und daraus einen "Steckbrief" der Substanz zu erstellen. In der folgenden Phase wird das Arzneimittel von erfahrenen Klinikärzten an einer kleinen Zahl von Patienten nach vorheriger Aufklärung über Nutzen und Risiken geprüft. Danach geht das Medikament in die breite klinische Erprobung mit Tausenden von Patienten. Mitunter werden jetzt Nebenwirkungen erkannt, die zum Beispiel nur bei Patienten mit bestimmter genetischer Konstellation auftreten oder nur dann, wenn der Patient mehrere Medikamente gleichzeitig einnehmen muss. Die Behörde entscheidet über Erfolg
Wenn schließlich belegt ist, dass das Arzneimittel sicher, wirksam und unbedenklich ist, erfolgt die Zulassung. Zuständig dafür ist das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) in Bonn. Es überwacht das Medikament auch nach der Markteinführung. Arzneimittel mit neuen Wirkstoffen unterliegen mindestens fünf Jahre lang der Verschreibungspflicht, danach dürfen einfach anzuwendende Präparate, die besonders verträglich sind, auch ohne Rezept in der Apotheke verkauft werden. Übrigens: Auch Medikamente, die schon Jahre auf dem Markt sind, werden gelegentlich geprüft, besonders wenn es Hinweise auf neue Anwendungsgebiete gibt. Neue Dosierungen oder Darreichungsformen werden in solchen Untersuchungen ebenfalls getestet.
Quelle: AOK Praxis aktuell; März 2002