Sparen auf dem Rücken der Alten
15 % der älteren Mitbürger leiden unter Depressionen - aber nur die Hälfte davon wird erkannt. Und viel schlimmer: erkannt heißt noch lange nicht richtig behandelt! Studien aus England zeigen das schockierende Ergebnis: Die Sterblichkeit von nicht oder nur schlecht behandelten älteren Patienten ist deutlich höher als bei behandelten Patienten. "Verordnet keine teuren neuen Medikamente an ältere Patienten" - so scheint das Motto vieler Ärzte zu lauten. Die Patienten sind zur Initiative im Arztgespräch gefordert!
Das Bild der typischen "Alten" in Deutschland wandelt sich zunehmend - vom ruhigen Rentenempfänger, der im Sammeln von Briefmarken seine letzte Lebensaufgabe sieht, bleibt nicht mehr viel übrig. Heute sind Mitbürger über 65 aktiv und reisen, betreiben Sport, und sind an vielen Themen wie Musik, Literatur und auch Technik interessiert. Allein der Anteil der Internetnutzer über 60 Jahre wächst inzwischen auf über 15 % an! Für den Medizinbetrieb sind ältere Menschen aber immer stärker nur "Kostenfaktor".
Das beginnt schon bei der Diagnosestellung: Während die "sichtbaren" körperlichen Gebrechen rasch diagnostiziert und behandelt werden, bleiben schwerwiegende Erkrankungen wie z.B. Depressionen bei 50 % der älteren Patienten unerkannt. Da eine psychiatrische Diagnostik zeitaufwendig ist, wird häufig der Weg gewählt, die "Symptome zu kurieren". Aber genau das verursacht großen Schaden: Hohe und vermeidbare Kosten für Krankenhausaufenthalte oder vermeidbare Therapiekosten für Sekundär-Erkrankungen - hier liegt das eigentliche "Sparpotential" - nicht bei der Diagnose und Therapie der Patienten.
Typische Symptome wie Schlafstörungen, Magenschmerzen, Kopfschmerzen, Herzbeschwerden sind oftmals die versteckten Anzeichen für eine Depression. Diese sogenannten larvierten Depressionen treffen ältere Menschen besonders hart, da sie oft genug auch unter anderen Erkrankungen wie Diabetes oder Fettstoffwechselstörungen leiden. Während die Stoffwechselerkrankungen regelmäßig therapiert werden, wird an der Ursache vieler anderer körperlicher Symptome - der Depression - nur wenig getan.
Tritt doch der Glücksfall der richtigen Diagnose "Depression" auf, werden aber ausgerechnet die älteren Patienten mit alten, nebenwirkungsreichen Medikamenten behandelt. Aus unveröffentlichten Daten von IMS (Institute of Medical Statistics) kann man entnehmen, dass 49 % der Patienten, die ältere Medikamente vom Typ der sog. trizyklischen Antidepressiva bekommen, über 60 Jahre sind. Gerade diese Medikamente sind zwar deutlich preiswerter - aber auch sehr viel risikoreicher bezgl. ihres Nebenwirkungs- und Wechselwirkungsprofil als neuere Präparate. Wolfgang Rutz, Mitarbeiter der WHO zeigte sich überrascht über die Zahlen. "Die älteren Medikamente sind zwar wirksam - wir empfehlen Sie aber nur in armen Ländern einzusetzen, die nicht genügend Geld für Medikamente haben. Sie haben teilweise schwerwiegende Nebenwirkungen, speziell für ältere Menschen, wie z.B. Blutdrucksenkung."
Hintergrund des Therapie-Verhaltens in Deutschland: Während verträglichere, moderne Antidepressiva vom SSRI-Typ 150 Euro und mehr im Monat kosten, ist die Therapie mit den alten Medikamenten schon für ca. 50,- Euro monatlich zu erhalten - ein wichtiges Entscheidungskriterium für die niedergelassenen Ärzte. Denn die stehen unter erheblichem Kostendruck.
Solche neueren Medikamente der SSRI-Gruppe sind durchweg besser verträglich und haben weniger Wechselwirkungen - ein Aspekt der unter den aktuellsten Entwicklungen im Pharma-Bereich immer wichtiger wird. Gerade Medikamente mit hoher Selektivität sind laut Untersuchungen in England und Skandinavien besonders für die älteren Patienten geeignet - und ersparen den Patienten damit viele unnötige Untersuchungen oder falsche Therapien.
Wie Kerstin Hagemann von der Patienten Initiative Hamburg erklärt, ist eine Ursache für das Verschreibungsverhalten der Ärzte sicher auch in dem anderen Auftreten der jüngeren Patienten zu sehen. "Die jüngeren Patienten nutzen öfter die Gelegenheit zu kritischen Fragen an den Arzt. Als Ergebnis bekommen sie bessere Produkte als die älteren Patienten, die oft ein großes Vertrauen in die ärztlichen Empfehlungen und in alte, bekannte Produkte haben."
Die "jungen Alten" müssen sich also von ihrem Bild des Arztes verabschieden - der Arzt ist auch für sie ein "Gesundheitsdienstleister", dessen Entscheidungen nicht immer unfehlbar sind. Es gilt regelmässig das Gespräch mit dem Arzt über die richtige Therapie zu suchen.